Eine kleine Abhandlung, wie man ausreichend genau die Fahrleistungen seines Fahrzeuges ermitteln kann

Bei kaum einem Thema im Bereich Automobil entstehen mehr Gerüchte als bei den Fahrleistungen, speziell wenn es sich um das eigene Fahrzeug handelt. Natürlich steht der eigene Wagen in der Serienstreuung ab Werk besonders gut im Futter. Klar fährt er mit 75PS glatte 200km/h. Und beschleunigt in 8 Sekunden von 0 auf 100km/h. Das hört man schnell, aus allen Richtungen. Motorsportbegeisterung macht aus dem Kleinwagen einen Formel 1.

Bezüglich dieser heißen Thematik werden dann so manche blutige Debatten an Stammtischen, in Internetforen und ganz schlimm als zwischenmenschliche Angebereien im realen Leben bestritten. Da kommen schnell die tollsten Helden-Geschichten zu Tage, von denen leider bei objektiver Überprüfung schnell nicht mehr sonderlich viel übrig bleibt. Ich hatte zum Beispiel mal einen Jungspund in einem Forum, der aus vollster Brust behauptete, sein getunter Opel Calibra fahre über 300km/h. Ich bin nicht sonderlich geneigt, solchen Geschichtchen viel Glauben zu schenken, begleite sie sogar eher mit Hohn und Spott, wenn es denn zu hanebüchen wird. Nirgendwo sonst kann man so manch einen Mann so sehr in seiner Ehre kränken als wenn man die überragenden Fahrleistungen seines Autos bezweifelt. Da braucht man nur leichte Zweifel äußern und schon... :)

Dabei zählt in diesem Bereich eigentlich nur eines: Fakten, also harte, unbestechliche und nachprüfbare (reproduzierbare) Zahlen.

Bereits die Leistungsmessungen auf Prüfständen sind nicht immer aussagekräftig genug. Denn hier gibt es verschiedene Messmethoden, die sich bisweilen recht deutlich im Endergebnis unterscheiden können, trotz identischen Fahrzeuges und Prüfvoraussetzungen. Speziell die Messung nach DIN 70020 gilt als besonders "ergebnisorientiert", liefert dem Tuningfreund besonders freundliche Zahlen. Ich kenne mich selbst nicht gut genug mit den Normen an sich aus, aber die Aussagen einiger Leute mit mehr Ahnung als ich selbst reichen mir aus, um zumindest deutliche Zweifel an dem Ergebnis der Leistungsmessung vom Speedster haben zu dürfen, die 287PS (DIN) bei 454Nm Drehmoment ergab. Möglicherweise sind das "nur" rund 275PS nach anderen Normen.

Was also Not tut, ist ein Verfahren, die Fahrzeuggesamtleistung zu messen und aussagekräftig sowie vergleichbar zu bekommen. Was letztlich zählt, sind eben nicht die PS auf dem Papier, sondern die Performance auf dem Asphalt.

Meine Lösung: GPS, das Global Positioning System, auch Satellitennavigation genannt.

GPS erlaubt recht genaue Positionsbestimmungen auf der Erdoberfläche und im Luftraum, aber es erlaubt dazu noch wirklich sehr genaue Bestimmung der Geschwindigkeit, mit der man sich auf der Erdoberfläche bewegt, und zwar mit einem Fehler, der kleiner als 0.1km/h ist. Damit sind also Höchstgeschwindigkeiten schon sehr genau zu bestimmen.

Übliche GPS-Empfänger für Outdoor-Aktivitäten oder Schiff- und Luftfahrt erzeugen leider nur einmal pro Sekunde einen Datensatz, der Position und Geschwindigkeit enthält. Es macht aber schon einen erheblichen Unterschied, ob ein Fahrzeug in 6 oder in nur 5 Sekunden auf 100km/h beschleunigt. Durch Rundung bzw. Abschneidung der Kommastellen können sogar noch größere Fehler entstehen, so können die Anzeigen "5" und "6" Sekunden bis zu knapp 2 Sekunden auseinander liegen, wenn sie ihren Ursprung beispielsweise bei "5.0" und "6.9" haben.


Übliche Handheld-GPS mit umfangreichen Navigations- und Messfunktionen, Kostenpunkt um die 500 Euro

Höchstgeschwindigkeiten ermittelt man also mit diesen Geräte bereits hervorragend und die meisten Tachometer werden dabei haarsträubender Lügen überführt. So kann es leicht passieren, dass zwar der Fahrzeugtachometer 270km/h anzeigt, real aber nur gut 240km/h gefahren wird. Keine Seltenheit. Vorausgesetzt man hat einen ausreichenden Blick zum Himmel und damit zu den GPS-Satelliten, kann man der Geschwindigkeitsanzeige der GPS-Geräte wirklich vertrauen. Sie sind einfach sehr genau. Tachometer aber eben nicht, egal ob digital oder analog. Und wer seine Messungen mit dem Tachometer macht, dem glaubt man einfach nicht. Soviel zum Thema Calibra und 300km/h.

Alle GPS-Geräte bieten also mehr oder weniger gute Auswertungsmöglichkeiten für Fahrstrecke und -geschwindigkeit, zum Beispiel in Form eines Tripcomputers.

  
Screenshots vom Garmin GPSmap 60CSx Tripcomputer (hier mit Höchstgeschwindigkeitsangaben 255 und 257 km/h, jeweils seit letztem Rücksetzen)

Will man aber Messungen der Fahrzeugbeschleunigung machen, ist man zumindest bei heute üblichen Autos bei einem Messwert pro Sekunde aufgeschmissen, das ist einfach zu grob aufgelöst, zu ungenau!

Aus dem Motorsport sind aber inzwischen Lösungen in den Consumer-Bereich vorgedrungen, die bereits Messungen mit 10Hz erlauben, also 10 Einzelmessungen von Position und Geschwindigkeit pro Sekunde. Diese sind inzwischen auch für deutlich unter 1000 Euro Anschaffungskosten erhältlich und bieten enorme Möglichkeiten, sein Tuningobjekt zahlenmäßig klar einzuordnen.

Das Gerät meiner Wahl ist die Racelogic DriftBox, vertrieben von der Leitspeed GmbH und auch in kleineren Ausbaustufen als PerformanceBox verfügbar. In dieser kommt der Antaris-4-Chipsatz von u-blox zum Einsatz, welcher es erlaubt, garantierte 8 GPS-Positionen pro Sekunde auszugeben, im Grenzfall sogar derer 10, sofern man die Ausgabe der GPS-Daten auf das Wesentliche reduziert (z.B. Geschwindigkeit, Richtung, Position und Uhrzeit). Der GPS-Chip allein kostet unter 20 Euro bei größeren Stückzahlen. Nicht viel für die Leistung.


Die Racelogic DriftBox

Die DriftBox misst unter anderem folgende Parameter zehn mal pro Sekunde und zeichnet die Werte auf eine SD-Karte auf:

- Fahrzeuggeschwindigkeit in mph oder km/h (Genauigkeit 0.1km/h)
- Fahrstrecke in ft. oder m  (Genauigkeit 0.5% auf Langstrecke, 50cm/km)
- Trackaufzeichnung der Gesamtfahrstrecke, exportierbar nach Google Earth (Genauigkeit 0.5m auf Langstrecke, 3m bei 95% CEP absolut bei Stillstand)
- Ermittlung von Runden- und Zwischenzeiten bei Fahrveranstaltungen auf Rennstrecken (Rundstrecken eben)
- Beschleunigung positiv (Motorleistung) und negativ (Bremsleistung) zwischen beliebigen Geschwindigkeiten (üblicherweise 0 - 100km/h, aber frei wählbar)
- Beschleunigung in Einheit g, lateral (quer) sowie longitudinal (längs) (Genauigkeit 1%, maximal 4g)
- Driftwinkel in Grad bei Geschwindigkeit in mph oder km/h (Genauigkeit 0.2°)
- Motorleistung in HP oder kW bei bekanntem Fahrzeuggewicht durch einen Beschleunigungstest (Genauigkeit 5% bei exakter Eingabe des Gewichts)
 

Alle diese Werte werden in verschiedenen Dateien während der gesamten Fahrt automatisch aufgezeichnet und können später in Tabellen oder Diagrammen am PC sehr genau ausgewertet werden. Es wird auch eine Bestenliste der Tests auf der SD-Karte geführt.

Die DriftBox enthält eine eingebaute GPS-Antenne, hat aber für den Fall von schlechtem Empfang im Fahrzeug einen Anschluss für eine externe handelsübliche Patchantenne. Sie wird einfach mit einer Gummisaugnapfhalterung an der Frontscheibe befestigt und über ein Kabel vom Zigarettenanzünder mit Strom versorgt. Durch die vollautomatischen Messabläufe braucht man sich während der Messfahrten wirklich um Nichts kümmern, die DriftBox erledigt alles vollkommen autonom ohne Nutzereingriff.


Messergebnis von Beschleunigungsmessungen mit dem Opel Speedster Turbo - echte(!) 4.5s von 0 auf 100km/h und das bei Schlupf im ersten Gang

Die Analysesoftware am PC ist zwar etwas schlecht zu bedienen, bietet aber wirklich gute Möglichkeiten, die aufgezeichneten Daten zu verarbeiten und genau auszuwerten, auch die graphische Darstellung ist simpel aber aussagekräftig.


Beschleunigungsdiagramm des Opel Speedster Turbo 0 auf 100km/h

An allen sich durch diese Messungen ergebenden Werten lässt sich nichts drehen, sie sind wirklich sehr genau. Auch wenn bisweilen vielleicht auch auf den ersten Blick enttäuschende Messwerte für die Beschleunigung oder Höchstgeschwindigkeit herauskommen sollten, so sind diese aber eben glaubhaft und über jeden Zweifel erhaben. Wer meint, bessere Tuningergebnisse liefern zu können, darf gerne den Beweis antreten. Mit Werten von seiner DriftBox.

Die DriftBox und baugleiche Geräte werden übrigens auch von der Motorpresse (unter anderem Auto Bild) zur Ermittlung der Fahrleistungen benutzt.

 

Datenausgabe

Ich habe aus Interesse an einer eigenen Weiterverarbeitung angefangen die Binärdateien der Driftbox zu analysieren und bin bei den Ergebnissen allerdings auf eine kleine Schwäche gestoßen. Ich werde das nun mal kurz erklären, allerdings ist die Erklärung wohl eher etwas für Leute mit Programmiererfahrung in C oder artverwandten hardwarenahen Sprachen.

Ein Messwerteblock der DriftBox sieht wie folgt aus (in hexadezimaler Schreibweise):

Zeile 1: Position
Zeile 2: Datenbyte
Zeile 3: Bedeutung (siehe unten)

01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
24 05 1A D5 BA 12 BF 06 F2 04 C2 71 7C 20 46 1C 9A 20 20 1F 53 FF F8 20 12 20 70 20 20 DB 80 0D 0A
$ SA T3 T2 T1 B4 B3 B2 B1 L4 L3 L2 L1 V2 V1 R2 R1 H4 H3 H2 H1 ## ## ## ## ## ## ## ## C2 C1 CR LF

Jede Sekunde kommen somit 330 Byte an GPS-Daten auf die SD-Karte (10 Telegramme à 33 Byte).

Hierbei bedeuten:

$ - Startzeichen für die Zeile
SA - Anzahl der Satelliten in der Empfangslösung (hier 5 Satelliten)
T3, T2, T1 - Uhrzeit in 1/100 Sekunden (hier 17586.50 s <=> 04:53:06.50)
B4, B3, B2, B1 - Breitengrad in Minuten (hier 3145.09042 m <=> 52°25.09042')
L4, L3, L2, L1 - Längengrad in Minuten (hier 798.51900 m <=> 13°18.51900')
V2, V1 - Geschwindigkeit in 1/100 km/h (hier 0.70 km/h) ***
R2, R1 - Bewegungsrichtung in 1/100 Grad (hier 73.22°)
H4, H3, H2, H1 - Höhe über Grund in Zentimetern (hier 80.19 m) ***

## hier nicht weiter dokumentierte Werte

C2, C1 - Prüfsumme für den Datensatz
CR, LF - Zeilenumbruch für die Textdatei

*** und hier sieht man ein Problem:

Die Daten sind als Textdatei gehalten. Und in Textdateien, speziell wenn man in der Programmiersprache C mit Strings arbeitet, bekommt man bei Nullbytes kleine Problemchen, da diese zumeist das Ende einer Zeile oder einer ganzen Datei markieren. Scheinbar ist man hier der Mühe aus dem Weg gegangen, diese Probleme programmiertechnisch zu knacken und hat einfach jedes Nullbyte (hexadezimal 00) durch ein Leerzeichen (hexadezimal 20) ersetzt. Das verfälscht aber die Werte in der Datei, und noch viel schlimmer, es schafft Mehrdeutigkeiten, da zwischen einer Zahl 32 (hexadezimal 20) und einer Zahl 0 (hexadezimal 00, geändert in 20) kein Unterschied mehr besteht. So wird zum Beispiel bei der Geschwindigkeit aus 0.32km/h ein 0.00km/h oder sogar 81.92km/h oder 82.24km/h und so weiter. Allein im Wertebereich der Geschwindigkeit finden sich so 256 Stellen, an denen mindestens eine Doppeldeutigkeit besteht.

Besonders heikel:

Als Geschwindigkeit 20 20 (V2, V1) hat man vier mögliche ursächliche Geschwindigkeiten: 0.00km/h, 0.32km/h, 81.92km/h und 82.24km/h. Während die kleinen Ungenauigkeiten von 0.32km/h in der Softwareauswertung kaum auffallen werden, könnte ein Geschwindigkeitsfehler von 82.24km/h fatale Wirkungen haben. Ich vermute mal, diese Irrtumsmöglichkeit wird in der Analysesoftware ausgeglichen, indem man harte Geschwindigkeitssprünge einfach nicht zulässt, die Plausibilität mit den benachbarten Werten prüft. Eine Tour beginnt immer bei 0.00km/h und kann dann nicht sofort auf über 80km/h hochspringen. Und umgekehrt.

Das finde ich insgesamt ziemlich bedenklich.

Wohlgemerkt, die Messungen an sich werden durch diese Mängel nicht beeinträchtigt, da diese innerhalb der DriftBox stattfinden. Hier geht es ausdrücklich nur um die Datenausgabe auf SD-Karte und damit die Auswertung am PC.

Eventuell bringt ein Firmwareupdate in der nächsten Zeit eine Verbesserung.

 

Kann man über Geschwindigkeit und 0-auf-100-Messungen hinaus noch mehr "messen"?

Man kann! Wie man die GPS-Messwerte dazu nutzen kann, Längs- als auch Querbeschleunigung eines Autos zu berechnen, erfahren sie hier (Achtung: externe Einbettung meiner Lotus-Type-116-Homepage).